Forschungs-Nachricht
Bonn, 12.08.2020. Die Orientierungskünste von Tauben faszinieren. Wie gelingt es beispielsweise Brieftauben, hunderte von Kilometern zurückzulegen, um dann mit höchster Präzision ihr Ziel anzusteuern? Der Sinn, der Ihnen den Weg weist, erinnert an Magie: sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde.
An der Funktionsweise des Magnetsinns war bislang vieles ungeklärt. Der Ort im Körper, an dem der innere Magnetkompass lokalisiert ist sowie dessen molekularer Aufbau, sind umstritten. Dabei vermuteten manche Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten, dass Cryptochrome, eine Klasse spezieller Moleküle im Taubenauge für den Magnetsinn verantwortlich sind. Leider blieb der eindeutige Beweis bislang aus. Auch war unklar, wie die Signale der Cryptochrome an das Nervensystem weitergeleitet werden. Nun kam eine internationale Forschergruppe um Prof. David Keays (Forschungsinstitut für molekulare Pathologie, Wien), an der auch caesar-Wissenschaftler Pascal Malkemper beteiligt war, dem Rätsel auf die Spur.
Cryptochrome sind Proteine, die sich in der Netzhaut des Auges finden und nachweislich auf magnetische Felder reagieren. Da in vorherigen Studien bereits gezeigt werden konnte, dass der Magnetsinn der Taube in Abhängigkeit von Licht funktioniert, gelang es dem Forscherteam nun, neue Daten zu gewinnen, die nahelegen, dass es sich bei Cryptochrom 4 (cry4) um den lichtabhängigen Magnetorezeptor der Taube handelt. So konnte das Forscherteam zeigen, dass cry4 in Synapsen der Netzhaut lokalisiert ist und dort über Glutamatrezeptoren mit den Lichtsinneszellen – und damit dem Nervensystem der Taube – beim Wahrnehmen von Magnetfeldern interagiert.
Die Arbeit der Wissenschaftler liefert starke Indizien für die Hypothese, dass tatsächlich eines der Cryptochrome im Taubenauge für die Wahrnehmung von Magnetfeldern verantwortlich ist. Und sie eröffnet das Feld für weitere, spannende Experimente. Denn Cryptochrome sind nicht nur bei Vögeln, sondern auch im Auge anderer Tierarten, ja sogar dem Menschen, nachgewiesen. Ob auch wir unbewusst das Magnetfeld der Erde wahrnehmen können?
Die Studie erschien nun im renommierten Fachjournal „Science Advances“ (https://advances.sciencemag.org/content/6/33/eabb9110).