Max-Planck-Institut - für Neurobiologie des Verhaltens — caesar

Forschungs-Nachricht

Warum wird eine Fliege müde – und woher weiß das Gehirn, wann es Zeit zum Ausruhen ist?

Schlaf ist für alle Tiere lebenswichtig – von der Fliege bis hin zum Menschen. Auch wenn die Funktion von Schlaf noch nicht vollständig verstanden ist, spielt er eine entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung von Energie, dem Abtransport von Abfallstoffen und der Regulierung des Hirnstoffwechsels. Doch woher weiß das Gehirn, wann es Zeit zum Ausruhen ist?

Eine neue Studie unserer Forschungsgruppe Neuronale Schaltkreise zeigt in Fruchtfliegen, dass die sogenannten Gliazellen im Gehirn eine aktive Rolle bei der Regulierung von Schlaf und Ruhe spielen und wie dieser Prozess mit dem Stoffwechsel zusammenhängt. Gliazellen galten lange lediglich als Stützgerüst und Versorger des Nervensystems. Mittlerweile werden sie aber auch als zentrale Re-gulatoren des Schlafs gesehen. Unser Team erweitert dieses Verständnis und zeigt, dass Gliazellen als ein gehirnweites System zur Steuerung des Gleichgewichts von Aktivität und Ruhe fungieren. Weiterhin konnten wir zeigen, dass eine bestimmte „Schlaf-fördernde“ Gruppe von Nervenzellen ebenfalls in die Regulation von Nahrungsaufnahme involviert ist. Möglicherweise trägt dies dazu bei, Schlaf- und Energiebalance gemeinsam zu koordinieren.

Mithilfe eines speziellen Mikroskopie-Versuchsaufbaus konnten unsere Forscher über mehrere Tage die Aktivität von Gliazellen verfolgen, während sie gleichzeitig das Verhalten der Fliege beobachteten. Die Gliaaktivität zeigte dabei deutliche circadiane Schwankungen über den 24-Stunden-Zyklus hinweg und spiegelte den Verhaltenszustand der Fliege genau wider: Sie stieg während der Wachphasen an und nahm während Ruhe und Schlaf allmählich ab. Die Gliaaktivität dient somit als interner Sensor für das Schlafbedürfnis: Bei niedriger Gliaaktivität sind die Fliegen vollständig ausgeruht, während Schlafentzug zu erhöhter Gliaaktivität führt. Wenn die Forschenden Gliazellen mit Hilfe von sogenannten optogenetischen Methoden gezielt aktivierten, so konnten sie die Fliege sogar in einen Ruhezustand versetzen. Die Aktivität der Gliazellen spiegelt also nicht nur den Grad der Müdigkeit wider, sondern steuert auch aktiv das Ruheverhalten.

Unsere Studie zeigte außerdem, dass Veränderungen in der Gliaaktivität durch die Ansammlung von Stoffwechselnebenprodukten verursacht werden, insbesondere von CO₂ und der damit verbundenen Änderung des pH-Wertes. Während der Wachphasen führt hohe neuronale Aktivität zu erhöhtem CO₂-Ausstoß, was den pH-Wert im Gehirn senkt und eine Übersäuerung erzeugt, die die Funktion von Neuronen beeinträchtigen kann. Wir fanden heraus, dass Gliazellen bei Fliegen über die nötigen Mechanismen verfügen, um den pH-Wert zu regulieren und CO₂ über die Gefäße des Atemsystems im Gehirn abzuführen. Die Gliaaktivität steigt mit zunehmendem CO₂ und sinkendem pH-Wert an. Nimmt die neuronale Aktivität im Schlaf ab, so sinkt die CO₂-Produktion, und die Gliaaktivität geht entsprechend zurück. Diese neuen Erkenntnisse unterstützen ein Modell, bei dem Gliazellen auf den neuronalen Stoffwechselbedarf während des Wachseins reagieren und Schlaf fördern, wenn die Bedingungen unhaltbar werden. Sie könnten somit eine wichtige Rolle bei der Beseitigung von Stoffwechselabfällen und der Aufrechterhaltung des physiologischen Gleichgewichts spielen.

Veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift Nature Neuroscience beleuchtet unsere Studie die zentrale Rolle von Gliazellen bei der Koordination grundlegender biologischer Prozesse wie dem Schlaf. Erstautor Andres Flores-Valle erklärt: „Indem wir die Mechanismen aufdecken, die den Schlaf bei Fruchtfliegen antreiben, gewinnen wir wertvolle Einblicke in die grundlegenden Funktionen des Schlafs bei komplexeren Organismen – einschließlich des Menschen.“



Grafik, die die Aktivität der Fliege und die entsprechende aufgezeichnete Aktivität der Gliazellen (blaue Linie) zeigt.

Zur Originalveröffentlichung


Schematische Darstellung des Verhaltens der Fliege und der entsprechenden Aktivität der Gliazellen.
MPINB

Schematische Darstellung des Verhaltens der Fliege und der entsprechenden Aktivität der Gliazellen.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Dr. Johannes Seelig
Max Planck Forschungsgruppenleiter