Forschungs-Nachricht
Forschende des neuen Max-Planck-Instituts für Neurobiologie des Verhaltens – caesar konnten erstmals aufklären, wie einzelne Zellen bei ihrer Wanderung durch den Körper in der Lage sind, sowohl ein stabiles Gedächtnis für Ihre Zielrichtung zu entwickeln, als auch auf kurzfristige Veränderungen ihrer Umgebung zu reagieren. Hierfür integriert die Zelle laufend die vielfältigen Informationen ihrer Umgebung und setzt sie in ein „molekulares Arbeitsgedächtnis“ um. Diese fundamentalen neuen Erkenntnisse gelten sehr wahrscheinlich für eine Vielzahl von Zelltypen und einzelligen Organismen.
Viele Zellen in unserem Körper bleiben nicht an Ort und Stelle. Zellen des Immunsystems beispielsweise wandern oder „migrieren“ im Falle einer Infektion über weite Strecken dorthin, wo sie gerade benötigt werden, ähnlich auch Epithelzellen bei der Wundheilung. Auch bei der Entwicklung des Nervensystems müssen Zellen an ihren Zielort wandern. Mit Hilfe von zahlreichen Rezeptoren an ihrer Oberfläche folgen sie dabei den Gradienten von chemischen Signalen, die ihnen den Weg weisen. Das klingt zunächst recht einfach, aber diese chemischen Signale bleiben nicht konstant. Sie sind oft verrauscht und unregelmäßig, sogar widersprüchlich und verändern sich über Zeit und Raum. Die Zellen folgen daher nicht einfach dem stärksten Signal, sondern ihr Verhalten geht deutlich darüber hinaus. Sie können sich offenbar an die Zielrichtung „erinnern“ und bleiben so auf Kurs. Dennoch können sie zusätzlich auf plötzliche Änderungen in ihrer jeweiligen Umgebung reagieren. Wie eine einzelne Zelle derartige gegensätzliche Herausforderungen meistern kann war bisher unklar.
Forschende der Gruppe „Cellular Computations and Learning“ um PD Dr. Aneta Koseska am neuen Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens – caesar in Bonn gelang es nun, die Prinzipien aufzudecken, die dieser Leistung zugrunde liegen. Die Gruppe entwickelte eine neue Theorie wie Zellen derartige komplexe Signale verarbeiten, testete diese Theorie mittels Computersimulationen und verifizierte die theoretischen Vorhersagen in lebenden Zellen. Hierfür analysierten die Forschenden die Aktivität der Oberflächenrezeptoren der Zellen, während die Zellen komplexe Migrationsaufgaben ausführten. So gelang es ihnen zu zeigen, wie einzelne Zellen Informationen über die Signale ihrer Umwelt auf molekularer Ebene speichern und in Bewegung umsetzen und wie sie so unempfindlicher gegenüber Störungen des Signals werden. Um dies zu leisten, muss die einzelne Zelle die komplexen Informationen über die Quelle des Signals, seine Stärke, seinen aktuellen Ort und weitere Informationen ihrer lokalen Umgebung ständig in Echtzeit integrieren. Sie tut dies mit Hilfe ihres molekularen „Arbeitsgedächtnisses“. Diese im renommierten Fachjournal „eLife“ veröffentlichte Arbeit erklärt zum ersten Mal sowohl das stabile Richtungsgedächtnis der Zellen, als auch ihre Fähigkeit, auf aktuelle Veränderung ihrer Umgebungssignale reagieren zu können. Dieses neue Modell eines zellulären Arbeitsgedächtnisses ist von fundamentaler Bedeutung für eine Vielzahl von Zellen und einzelligen Organismen.