Das übergeordnete Ziel unserer Forschung ist es, zu verstehen, wie das Zusammenspiel zwischen biophysikalischen, synaptischen, zellulären und Netzwerkmechanismen im Säugetiergehirn Wahrnehmung kodieren und Verhaltensantworten auslösen kann, wie z.B. die Entscheidungsfindung während einer sensomotorischen Aufgabe. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt unsere Gruppe einen multidisziplinären Ansatz, der die Netzwerkanatomie (Rekonstruktion synaptisch verbundener lokaler und weitreichender Schaltkreise im Gehirn unter Verwendung verschiedener virusbasierter und/oder in vivo-Markierungsansätze) mit der Zellphysiologie (Messung neuronaler Aktivitätsmuster im Neokortex und Thalamus über Patch-Clamp-Aufnahmen und/oder optogenetische Ansätze in vivo) und der Computermodellierung (Simulationen des sensorisch evozierten Signalflusses durch gut definierte neuronale Netzwerkmodelle) kombiniert.
Zu verstehen, wie das Gehirn in der Lage ist, sensorischen Input in Verhalten umzuwandeln, ist eine der größten Herausforderungen in den systemischen Neurowissenschaften. Obwohl die Aufzeichnung/Bildgebung während sensomotorischer Aufgaben neuronale Substrate der Empfindung und Handlung in verschiedenen Bereichen des Gehirns identifiziert, können die entscheidenden Fragen 1) wie diese Korrelate innerhalb der zugrundeliegenden neuronalen Netzwerke implementiert werden und 2) wie ihre Ausgabe das Verhalten auslöst, nur beantwortet werden, wenn die einzelnen funktionellen Messungen in ein kohärentes Modell aller aufgabenbezogenen neuronalen Schaltkreise integriert werden. Unsere Gruppe verwendet das Tasthaar(Whisker)-System der Ratte für den Aufbau eines solchen Modells im Zusammenhang damit, wie eine taktil-vermittelte Wahrnehmung (z.B. Objektform durch Schnurrhaarberührung) durch das Zusammenspiel von biophysikalischen, zellulären und Netzwerkmechanismen kodiert wird. Nagetiere, wie Ratten und Mäuse, bewegen aktiv ihre Tasthaare, um die Umwelt zu erkunden. Unsere Gruppe hat Ansätze zur Erzeugung einer digitalen (d.h. in silico) Darstellung des Whisker-Systems von Nagetieren entwickelt. Wir erzeugen anatomisch und funktionell detaillierte neuronale Netzwerkmodelle, die es ermöglichen, Computersimulationen durchzuführen, die den in vivo-Strom der durch Tasthaare hervorgerufenen Erregung im gesamten Gehirn mit subzellulärer Auflösung und Millisekundenpräzision nachahmen. Diese Simulationen bieten einzigartige Möglichkeiten, um zu untersuchen, wie das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Zell- und Netzwerkeigenschaften zu neuronalen Signalen führen kann, die der sensorischen Informationsverarbeitung und letztendlich sensorisch gesteuertem Verhalten zugrunde liegen.
Im Mai 2024 hielt Marcel Oberlaender einen Vortrag auf dem Brainnet+ 24 Workshop in Stockholm, der einen guten Überblick über die Forschung seiner Gruppe gibt.
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