Bonn, den 02.03.2015. Wissenschaftler des Bonner Forschungszentrums caesar, einem Institut der Max-Planck-Gesellschaft, haben mithilfe der Elektronenmikroskopie aufgeklärt, wie der Sehfarbstoff Rhodopsin in den Stäbchen der Netzhaut angeordnet ist. In der Wissenschaft wurde diese Frage viele Jahre lang kontrovers diskutiert. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Structure“ veröffentlicht. Dank der Erkenntnisse könnten Krankheiten, die Blindheit verursachen, in der Zukunft besser erforscht werden.
Das Sehen beginnt in den Stäbchen und Zapfen, zwei unterschiedlichen Sinneszellen in der Netzhaut unserer Augen. Die Stäbchen sind für das Dämmerungssehen verantwortlich und deshalb besonders lichtempfindlich. Einzelne Lichtquanten, Photonen, aktivieren den Sehfarbstoff Rhodopsin und leiten dadurch den Sehprozess ein. Das Rhodopsin befindet sich in flachen Membranscheibchen (Disks) der Sehzellen. Die biochemischen Prozesse, die dem Sehen zugrunde liegen, sind seit vielen Jahren bekannt: Rhodopsin löst eine hochverstärkte Kaskade enzymatischer Reaktionen aus, die zu einer elektrischen Erregung führen. Unklar war bisher jedoch, wie das Rhodopsin in den Disks angeordnet ist. Zum Beispiel wurde diskutiert, ob das Rhodopsin paarweise als Dimer vorliegt oder ob die Rhodopsin-Moleküle frei beweglich auf den Disks „herumirren“ und so ihre Interaktionspartner – ähnlich wie Billardkugeln nach einem wilden Schlag mit dem Queue – zufällig finden.
In Zusammenarbeit mit Ashraf Al-Amoudi vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) nutzten die caesar-Forscher die Kryo-Elektronenmikroskopie, um die Anordnung des Rhodopsins in den Stäbchen von Mäusen zu untersuchen. Bei dieser Methode werden die Proben zunächst schockgefroren. Dadurch bleibt die natürliche Struktur weitgehend erhalten. Die eigentliche Untersuchung findet in einem Transmissionselektronenmikroskop statt, das die nötige Auflösung besitzt, um einzelne Moleküle sichtbar zu machen.
Die Wissenschaftler um Benjamin Kaupp und Ashraf Al-Amoudi konnten zeigen, dass die Rhodopsinmoleküle als Dimer vorliegen. Darüber hinaus bildet das Rhodopsin sogenannte supramolekulare Strukturen: Die Dimere sind in Reihen aus circa 50 Molekülen angeordnet. Je zwei Reihen lagern sich zu einer Doppelreihe zusammen – wie Bahngleise. Alle Reihen sind parallel angeordnet.
Welche physiologische Funktion eine solche regelmäßige Anordnung hat, ist derzeit unklar. Möglicherweise bilden die Doppelreihen eine Plattform, auf der die anderen Moleküle, die an der elektrischen Signalwandlung teilnehmen, regelmäßig angeordnet sind. Durch die parallele Anordnung der Reihen könnte sich das Polarisationssehen erklären lassen, mit dem sich einige Wirbeltiere – etwa Amphibien und Vögel – in ihrer Umgebung orientieren. Im Gegensatz zum Polarisationssehen von Insekten sind die entsprechenden Mechanismen bei Wirbeltieren noch nicht gut verstanden. Bislang ist umstritten, ob auch Säugetiere diese Fähigkeit besitzen. Die Ergebnisse am Mausmodell werden weiterführende Untersuchungen stimulieren.
Stiftung caesar
Die Stiftung caesar ist assoziiert mit der Max-Planck-Gesellschaft und betreibt in Bonn ein Forschungszentrum. Die wissenschaftliche Arbeit erfolgt nach den Exzellenzkriterien der Max-Planck-Gesellschaft.
Originalveröffentlichung:
Gunkel, M., Schöneberg, J., Alkhaldi, W., Irsen, S., Noé, F., Kaupp, U.B. & Al-Amoudi, A. (2015) "Higher-order architecture of rhodopsin in intact photoreceptors and its implication for phototransduction kinetics" Structure, [Epub ahead of print]
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.str.2015.01.015