Bonn, 16.11.2015. Wissenschaftler des Bonner Forschungszentrums caesar haben in Zusammenarbeit mit dem Bernstein Center for Computational Neuroscience, dem Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik und dem Max Planck Florida Institute for Neuroscience einen möglichen Mechanismus entdeckt, wie Nervenzellen im Kortex bei der Umwandlung von sensorischen Signalen in neuronale Aktivität starke Schwankungen vermeiden. Um Vorhersagen machen zu können, verwendeten die Forscher Computermodelle und überprüften diese anschließend in vivo an elektrophysiologischen Messungen.
Selbst einfachste sensorische Signale aktivieren im Kortex Millionen von Synapsen. Bislang war unklar, wie die wichtigsten Nervenzellen im Kortex, die Pyramidenzellen, diese mitunter stark verrauschten Ausgangssignale in eine stabile elektrophysiologische Antwort umwandeln. Um sich der Antwort auf diese Frage zu nähern, untersuchten Wissenschaftler der Abteilung Behavior and Brain Organisation vom Bonner Forschungszentrum caesar, einem Institut der Max-Planck-Gesellschaft, wie Neurone aus der obersten Kortexschicht (L1) mit Neuronen aus tieferliegenden Schichten interagieren.
Warum ist diese oberste Kortexschicht so besonders? Sie enthält nur hemmende Neurone und Dendriten von erregenden Neuronen aus tieferen Schichten. In dieser obersten Schicht befinden sich nur wenige hemmende Neuronen. Diese sind aber perfekt angeordnet, um ihre Funktion auszuüben. Der genaue Mechanismus war bislang unklar, insbesondere bei Antworten auf sensorische Signale.
Mit Patch-Clamp-Methoden gelang es den Wissenschaftlern zunächst, die 3D-Morphologie der L1-Interneuronen zu rekonstruieren und die daraus gewonnenen anatomischen und elektrophysiologischen Informationen in ein bestehendes biophysikalisches Modell des somatosensorischen Kortex zu integrieren. Computersimulationen anhand dieses Modells legten die Hypothese nahe, dass die hemmenden Interneurone die Variabilität der neuronalen Antworten auf die sensorischen Eingangssignale herabsetzen und so die Robustheit der neuronalen Muster kontrollieren, zumindest in den Dendriten.
Diese aus dem theoretischen Modell abgeleiteten Hypothesen konnten in vivo an Ratten durch eine Kombination von elektrophysiologischen und bildgebenden Verfahren mit Hilfe der 2-Photonen-Mikroskopie bestätigt werden: Unterdrückten die Wissenschaftler die Aktivität der L1-Interneuronen, so konnten sie beobachten, dass die neuronalen Antworten über mehrere Messungen hinweg deutlich stärkeren Schwankungen unterworfen waren als bei aktiven Interneuronen. Hingegen blieb die Struktur der Signale unverändert. Durch welchen Mechanismus wird dies bewerkstelligt? Durch weitere Simulationen wurde deutlich, dass distale dendritische Hemmung der Mechanismus ist, der am besten zu den Daten passt. Auf diese Weise können Interneurone kontrollieren, wie die Dendriten der Pyramidenzellen die sensorischen Eingangssignale verarbeiten.
„Eine distale dendritische Hemmung stellt möglicherweise ein – quer durch alle Sinnesmodalitäten – universelles Organisationsprinzip im Kortex dar, um gezielt die Robustheit der neuronalen Antwortmuster auf sensorische Ausgangssignale zu kontrollieren“, so Jason Kerr, einer der wissenschaftlichen Direktoren bei caesar.
Originalpublikation
Egger, R., Schmitt, A.C., Wallace, D.J., Sakmann, B., Oberlaender, M. & Kerr, J.N. (2015) “Robustness of sensory-evoked excitation is increased by inhibitory inputs to distal apical tuft dendrites“, Proc. Natl. Acad. Sci. USA [Epub ahead of print]
DOI: 10.1073/pnas.1518773112
Kontakt
Dr. Jason Kerr
Abteilung Behavior and Brain Organisation
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