Forschungs-Nachricht

Entsprechend vernetzt: Nervenzellen bestimmen selbst die Architektur ihrer Netzwerke

Nervenzellen verbinden sich zu Netzwerken, deren Architektur das Grundgerüst für jedwede Informationsverarbeitung im Gehirn darstellt. Vor allem in der Großhirnrinde von Säugetieren – dem sogenannten cerebralen Cortex – haben diese neuronalen Netzwerke eine Komplexität entwickelt, welche jene in anderen Hirnregionen oder Spezies deutlich übersteigt. Vieles spricht dafür, dass diese enorme Komplexität eine der Grundlagen für höherer Hirnfunktionen des Cortex bildet, wie der Umwandlung von Sinnesreizen in Wahrnehmung, oder der Entstehung von Bewusstsein.

Wissenschaftler*innen am MPINB in Bonn, in Zusammenarbeit mit Forschenden aus Berlin, Tübingen, Amsterdam und München, haben nun erstmals grundlegende Prinzipien entdeckt, welche die komplexen Verbindungsmuster in cortikalen Netzwerken bis ins Detail vorhersagen können. Dazu haben die Forschenden mehr als ein Jahrzent lang Nervenzellen im Cortex von Ratten rekonstruiert (siehe Abbildung), und aus diesen Daten digitale Modelle neuronaler Netzwerke erstellt. So konnten sie systematisch untersuchen, unter welchen Annahmen Netzwerke im Computer entstehen, deren Verbindungsmuster denen im Tier entsprechen. Diese Kombination aus Experiment und Modellierung führte zur überraschenden Erkenntniss, dass die Tatsache ob und wie stark Nervenzellen miteinander verbunden sind, weder genetisch vorherbestimmt sein muss, noch zwangsläufig aufgrund von Mechanismen des Lernens entsteht. Jediglich Kenntniss der dreidimensionalen Struktur – der sogenannten Morphologie – jeder in einer Hirnregion vorhandenen Nervenzelle war erforderlich, um einen Großteil der Verbindungsmuster zwischen diesen Nervenzellen realistisch vorherzusagen.

„Unsere Erkenntnisse legen nahe, dass die Architektur neuronaler Netzwerke zu einem erheblichen Maße von den morphologischen Eigenschaften der Nervenzellen bestimmt wird“ sagt Dr. Marcel Oberlaender vom MPINB in Bonn und Leiter der Studie. Diese Entdeckung lässt sich auf jede Rekonstrution neuronaler Netzwerke anwenden, wie die Forschenden am Beispiel des menschlichen Cortex demonstrieren. In Zukunft wird es so möglich sein, in verschiedenen Hirnregionen und Spezies zu untersuchen, ob Verbindungen zwischen Nervenzellen aufgrund morphologischer Eigenschaften entstanden sind, genetisch vorherbestimmt waren, oder durch Mechanismen des Lernens beeinflusst wurden.

Diese Forschungsergebnisse wurde am 12.04.2022 in der renommierten Fachzeitschrift ‚Cell Reports‘ publiziert. Hier geht es zur Publikation.

Mikroskopische Aufnahme zweier miteinander verbundener Nervenzellen aus dem Cortex der Ratte.

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